Bezahlen Musikstreaming-Dienste MusikerInnen fair?

Bezahlen Musikstreaming-Dienste MusikerInnen fair?

Die Zeiten, in denen alle MusikliebhaberInnen ein Regal für ihre CD- oder Schallplattensammlung im Wohnzimmer stehen hatten, sind längst vorbei. Streamingdienste wie Spotify ermöglichen es NutzerInnen, jederzeit und überall Musik zu hören. Für einen geringen monatlichen Betrag können sie ununterbrochen streamen und praktische Zusatzfunktionen freischalten. Doch wie viel von den Einnahmen gehen an die KünstlerInnen? Sind Alternativen nötig?

Kritik am Bezahlsystem von Musikstreaming-Diensten

Der Musik-Streamingdienst Spotify ist bereits seit Jahren in der Kritik. Der größte Kritikpunkt, dem Spotify noch immer ausgesetzt ist, betrifft die niedrige Entlohnung der MusikerInnen. Ausgegangen wird von rund 0,00348 Dollar pro Stream. Das bedeutet, dass KünstlerInnen für 3.480 Dollar Brutto innerhalb eines Monats auf eine Millionen Streams kommen müssen. Das schaffen nur die bekanntesten Stars.

Weniger bekannte Künstler verdienen demnach nicht einmal genug Geld zum Leben. Fällt ein großer Teil des Einkommens durch CDs und Konzertauftritte wie während der Corona-Pandemie weg, wird die Lage noch brenzliger. Einzelne MusikerInnen und Gruppen wie die Initiative Fair Share fordern daher eine faire Bezahlung und liefern Ideen, diese zu bewerkstelligen. Aber was ist das aktuelle Stand? Wie funktioniert das System, das MusikerInnen so benachteiligt?

Das Pro-Rata-Modell und seine Probleme

Musik-Streamingdienste wie Spotify nutzen das Pro-Rata-Modell um die Einnahmen durch zahlende HörerInnen und Werbung an die relevanten Parteien zu verteilen. Im Prinzip kommen alle Einnahmen in einen großen Topf und werden nach einen komplizierten Verteilungsschlüssel aufgegliedert. Streams von zahlenden NutzerInnen bringen mehr Geld in den Verteilungstopf als werbefinanzierte Streams. Darüber hinaus sind die Kosten für ein Abonnement von Land zu Land unterschiedlich, um auf lokalen Märkten zu konkurrieren.

Von den resultierenden Gesamteinnahmen behalten die Streamingdienste etwa 30 bis 40 Prozent. Einen weiteren Teil bekommen Verwertungsgesellschaften wie die GEMA. Der Rest teilt sich anhand des Marktanteils auf, den KünstlerInnen an der Gesamtzahl aller Streams haben. Das bedeutet, wenn jemand einen Streamanteil von fünf Prozent hat, erhalten er oder sie fünf Prozent der Einnahmen.

Der Betrag, den MusikerInnen tatsächlich erhalten, hängt von den Verträgen zwischen Label und Streamingdienst sowie zwischen Label und KünstlerIn ab. Die Konditionen der ersten Vereinbarung sind für Dritte nicht zugänglich. Es ist daher nicht ersichtlich, nach welchem Schema die Entlohnung berechnet wird.

Von dem Geld, dass die Labels erhalten, behalten sie einen Teil. Dieser dient traditionell der Finanzierung von Werbung, Konzerten und Merchandise. Der Rest geht an die MusikerInnen. Der genaue Betrag ist vertragsabhängig. Es könnten beispielsweise 10 Prozent der Einnahmen sein. Für weniger bekannte KünstlerInnen bleibt also nicht mehr viel Geld übrig. Zudem sind die Verträge mitunter nicht mehr zeitgemäß: Das Geld, das beispielsweise zur Produktion und Vermarktung von CDs nötig, ist in Streamingzeiten oft geringer als im Vertrag festgelegt ist.

Es hilft nicht, dass sich das Pro-Rata-System leicht manipulieren lässt. Ein Song muss nur 30 Sekunden laufen, um als Stream in die Berechnung einzufließen. Personen oder Bots können also die Songs einer Gruppe in 30-Sekunden-Dauerschleife abspielen, damit das dazugehörige Label einen höheren Anteil der Gesamteinnahmen bekommt.

Ist ein User-Centric-Payment-Verfahren eine sinnvolle Alternative?

Die Alternative zum Pro-Rata-Modell, das beispielweise von der Initiative Fair Share beworben wird, ist das sogenannte User-Centric-Payment-Verfahren (UCP). Hierbei zahlen AbonnentInnen nur für die KünstlerInnen, deren Musik sie auch hören.

Eine Erweiterung dieses Prinzips ist das User-Time-Centric-Payment-Verfahren(UTCP), bei dem nicht nur relevant ist, welchen Songtitel NutzerInnen anklicken, sondern auch, wie lange sie diesen abspielen. Dadurch ist es nicht mehr möglich, die Zahlen durch den schnellen Wechsel zwischen Songs zu manipulieren.

Im nutzerzentrischen Modell basiert die Vergütung des Rechteinhabers darauf, wie oft ein einzelner Nutzer einen Titel angehört hat: d.h. wie viele unterschiedliche Titel der Nutzer anhört und wie oft. Wenn der betreffende Nutzer nur einen Titel anhören würde, würde seine/ihre gesamte Monatsgebühr an die Rechteinhaber dieses Titels ausgeschüttet werden. Daher würde, anders als beim anteiligen Modell, bei diesem grundsätzlich die Vergütung der Rechteinhaber von weniger oft angehörten Titeln ansteigen und andererseits die Vergütung der am häufigsten angehörten Musik verringern.

In einer Studie des französischen Centre National de la Musique (CNM) aus dem Jahr 2019 kam zum Beispiel heraus, dass bei Deezer und Spotify bis auf die zehn KünstlerInnen mit den meisten Streams alle beim UCP-Verfahren mehr Anteile der Gesamteinnahmen bekommen als beim Pro-Rata Verfahren.

Allerdings besagt die Studie des CNMs auch, dass nur die ersten 1.000 KünstlerInnen im Ranking tatsächlich profitieren. Die restlichen MusikerInnen haben nur einen zusätzlichen Gewinn von höchstens zehn Euro pro Jahr. Einen praktischen Vorteil hat das UCP-System auf jeden Fall: Es erschwert die Manipulation der Auszahlungen durch das Kaufen von Streams.

Änderungen am Pro-Rata-System lassen sich jedoch ohne das Einverständnis der Labels, von denen Streamingdienste die Lizenzen für die Kataloge der MusikerInnen kaufen, nicht umsetzen. Diejenigen mit den meisten Katalogen haben eine bessere Verhandlungsposition und womöglich die meisten Marktanteile. Wenn die großen Labels keine persönlichen Vorteile an einem Verfahren wie UCP sehen, blockieren sie die Umsetzung. Das spürt Deezer, das zwar die Umstellung auf UCP angekündigt hat, aber wegen Verhandlungen mit relevanten Labels und Vertrieben Probleme bei der Umsetzung haben.

Anbieter, die bessere Konditionen versprechen

Beim Streamingdienst Tidal gibt es den Basis HiFi-Account für etwa zehn Euro sowie den HiFi-Plus-Account für das Doppelte. HiFi-Plus-Mitglieder erhalten eine bessere Soundqualität sowie einige Extra-Features. Dazu gehört auch das Programm Direkte Zahlungen an Künstler: Bis zu zehn Prozent der Abokosten gehen an den Künstler oder die Künstlerin, den beziehungsweise die das HiFi-Plus-Mitglied in einem bestimmten Monat gehört hat. Darüber hinaus nutzt Tidal nur bei HiFi-Plus-Abonnement das UCP-Verfahren und nennt es fanbasierte Tantiemen. Wer also bereit ist, 19,99 Euro für einen HiFi-Plus-Mitgliedschaft zu zahlen, kann zu einer besseren Vergütung der LieblingsmusikerInnnen beitragen.

Eine weitere mögliche Alternative ist die Plattform Bandcamp. MusikerInnen legen selbst einen Preis für Content und Merchandise fest. NutzerInnen können die Songs mehrere Male kostenlos anhören und dann entscheiden, ob sie die Musik kaufen möchten. Abzüglich der Provision seitens Bandcamp behalten die KünstlerInnen bei jeden Verkauf rund 82 Prozent des Geldes.

Demokratisches Musik-Streaming?

Die beiden Streamingseiten Resonate und Ampled arbeiten nach einen Koop-System. Es handelt sich um einen Zusammenschluss von KünstlerInnen und allen, die für die Funktionsfähigkeit der Seite sorgen. ZuhörerInnen können dieser Genossenschaft angehören, wenn sie einen Beitrag zahlen. Bei Resonate zum Beispiel sind es zehn Euro jährlich. Alle Mitglieder können bei der Entwicklung des Unternehmens mitentscheiden und erhalten einen Teil des Profits.

Bei Ampled werden Fans zu UnterstützerInnen. Sie zahlen mindestens drei Dollar pro Monat an ihre LieblingskünstlerInnen, um unter anderem Zugriff auf Demos, exklusives Merchandise und unveröffentlichtes Material zu erhalten.

Resonate hingegen baut auf ein spezielles „Stream-to-own“-Prinzip sowie ein Credit-System. ZuhörerInnen schließen kein Abonnement ab, sondern kaufen Kredits. Das Geld geht direkt an die MusikerInnen, deren Songs gehört werden. Wenn Sie einen Song neunmal abgespielt haben, tritt das Stream-to-own-Prinzip in Kraft. Der Song gilt als bezahlt und steht nun zur freien Verfügung. Mit der Zeit wird die Sammlung frei verfügbarer Musik größer und die Kosten für Resonate werden sinken.

Anbieter wie Ampled oder Resonate sind zwar fair zu KünstlerInnen und ZuhörerInnen, aber die Songauswahl ist weitaus geringer. Für weniger bekannte MusikerInnen, Indie-KünstlerInnen und ihre Fans sind sie eine gute Alternative. Diejenigen, die bei großen Labels unter Vertrag stehen, sind zum jetzigen Zeitpunkt eher selten zu finden.


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