Fremdsprachen lernen allein mit Medien, die man selbst interessant findet und der Community beisteuern kann – dieses Konzept entwickelt LingQ stetig weiter. Eine hohe Eigenmotivation ist allerdings erforderlich. Sprachpartnerschaften mit Muttersprachlern ermöglicht die Community. Der hohe Gamification-Grad macht die Plattform auch für jüngere Nutzer interessant.
Hinsichtlich der Auswahl möglicher Zielsprachen ist LingQ überwältigend. Dies ist der Vorgehensweise gedankt, stetig das Sprachrepertoire um weitere Sprachen erweitern zu wollen, sobald zwei Stunden Audiomaterial für das Anfängerniveau und jeweils fünf Stunden Audiomaterial für das Fortgeschrittenenniveau verfügbar sind. Das Material stellt dabei nicht zwingenderweise LingQ als Betreiber der Plattform zur Verfügung, sondern gegebenenfalls auch dritte Parteien, sprich, die Nutzer. Somit erweitert sich das Sprachrepertoire stetig, wenn genügend Nutzer dazu beitragen.
Zum Zeitpunkt unseres Tests befanden sich 18 Zielsprachen im festen Repertoire. Dies sind Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch, Russisch, Tschechisch, Polnisch, Ukrainisch, Chinesisch, Japanisch, Koreanisch, Schwedisch, Griechisch, Niederländisch sowie zwei echte Exoten in Form von Esperanto und Latein.
Neun weitere Sprachen waren zu diesem Testzeitpunkt als Beta-Sprache verfügbar. Als Beta-Sprachen bezeichnet der Anbieter jene, zu denen bereits Material vorhanden ist, jedoch noch nicht in einem solchen Maß, dass die entsprechenden Kriterien zur verbindlichen Aufnahme erfüllt sind.
Neben den erforderlichen Stunden an Audiomaterial liegt dies auch an der Auswahl passender Bilder und der Zusammenstellung geeigneter Texte. Zugänglich sind nur zu Teilen aufbereiteten Materialien dennoch. An Beta-Sprachen haben registrierte Nutzer Zugriff auf Norwegisch, Türkisch, Finnisch, Hebräisch, Arabisch, Rumänisch, Dänisch, Slowakisch und Malaysisch. Mitglieder können nicht nur eine, sondern beliebig viele Sprachen mit ihrem Abonnement erlernen.
Die Level bei LingQ orientieren sich nicht direkt am GER, jedoch besteht auch hier eine Sechsteilung in die Niveaus Beginner 1 und 2, Intermediate 1 und 2 sowie Advanced 1 und 2. Diese Einteilung dürfte in etwa den Standards des GER entsprechen, doch können keine GER-konformen Zertifikate die erworbenen Sprachkenntnisse bestätigen. Alle Sprachen können prinzipiell in allen Niveaustufen erlernt werden, doch sind weniger beliebte Sprachen in der Regel mit weniger Lernmaterialien ausgestattet als beliebtere.
Ebenso beeindruckend wie die Zahl der Zielsprachen ist die Zahl der Ausgangssprachen, in denen LingQ darstellbar ist. Es handelt sich mit Englisch, Deutsch, Spanisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Japanisch, Mandarin, Chinesisch (traditionell), Koreanisch, Russisch, Schwedisch, Niederländisch, Litauisch, Tschechisch, Ungarisch, Griechisch und Ukrainisch um 18 verschiedene Sprachversionen. Viele Bereiche der Homepage und der Kursmaterialien sind dennoch ausschließlich in englischer Sprache dargestellt.
LingQ, ausgesprochen „link“, ist eine Lernplattform und Web-Community, entwickelt vom polyglotten Kanadier Steve Kaufmann, der für sich in Anspruch nimmt, die effizienteste Methode zum Sprachenlernen entwickelt zu haben. Mit ihr könne jeder Mensch problemlos jede Sprache erlernen.
Die Methode von LingQ kommt als einzige in unserem Test völlig ohne Unterricht, Lehrvideos oder Grammatikerklärungen aus. Sie beruht auf der Motivation der Lernenden durch die Tatsache, dass sie nur mit Texten und Audiodateien lernen, deren Inhalt sie persönlich interessiert. Daher finden sich auf der Plattform tagesaktuelle Artikel zu politischen, wirtschaftlichen, businessrelevanten, sportlichen und Klatsch-und-Tratsch-Themen, darüber hinaus Kindergeschichten, Romane oder Kurzgeschichten zum Lesen sowie Radiosendungen und Interviews zum Hören. Anhand der Medien soll der Nutzer nun Vokabular lernen, welches ihn befähigt, weitere, nach und nach komplexere Artikel und Aufnahmen zu verstehen. Diese Methode entspricht weitestgehend der so genannten Birkenbihl-Methode.
Der Bereich „Home“ unter dem Reiter „Lessons“ bietet einen „Lesson Feed“, eine „Lesson Library“ und den Bereich „My Lessons“, in dem die vom Nutzer bearbeiteten Lektionen hinterlegt sind.
Im Feed werden alle neu hinzugefügten verfügbaren Lektionen angezeigt. Da prinzipiell jeder Nutzer Lehrmaterialien bereitstellen und hochladen kann, vergrößert sich der Fundus an verfügbaren Lektionen stetig. Für die englische Sprache erscheinen mehrere Lektionen pro Stunde. Die „Lesson Library“ enthält alle jemals dem Fundus hinzugefügten Medien.
Während des Stöberns in der Bibliothek steht es dem Nutzer frei, für ihn interessante Artikel vorzumerken und diese später in „My Lessons“ zu bearbeiten. In der rechten Spalte bleibt dabei stets entweder die persönliche Lernstatistik, die „Achievements“, also alle für Challenges relevanten Errungenschaften, oder eine Ansicht des persönlichen Avatars eingeblendet.
Mit einer Filterfunktion sucht der Nutzer nach Texten in seiner gewünschten Niveaustufe. Die Listenansicht informiert bereits vorab darüber, wie viele dem Nutzer unbekannte Worte der Text enthält. Mit einem Klick öffnet sich der gewünschte Text in einem Reader-Tool. Dem Nutzer bislang nicht bekannte Worte sind im Text blau hinterlegt.
Beim Lesen eines Textes soll der Nutzer nun all diese blau hinterlegten Worte als LingQs definieren. Dies geht folgendermaßen: Während des Lesens klickt der Nutzer auf blaue Worte oder Phrasen. In der rechten Spalte neben dem Text erscheint daraufhin eine Auswahl der durch andere User meistgenutzten Übersetzungen dieses Wortes. Nach Auswahl der passenden Übersetzung erscheinen das Wort oder die Phrase nicht mehr blau, sondern gelb hinterlegt – damit ist das Wort oder die Phrase ein LingQ. Sollte keine Übersetzung der Community bislang treffend sein, befindet sich unter den gebräuchlichsten Übersetzungen eine Auswahl an Übersetzungstools, wie beispielsweise google translate, PONS oder dict.cc. Mit diesen ist es möglich, selbst eine neue, für diesen Kontext treffende Übersetzung zu finden und in LingQ neu zu definieren.
LingQs erscheinen ab ihrer Definition in allen anderen Texten, in denen sie vorkommen, gelb hinterlegt, und zwar so lange bis der Nutzer sie mit dem separaten Vokabeltrainer gezielt gelernt und verinnerlicht hat. Bis dahin eignet er sich auf natürliche Weise die Nutzung des Wortes an, indem er ihm in weiteren Texten in neuem Kontext begegnet. Die Anzahl aller bisher definierten LingQs ist stets rechts oben unter „Review LingQs“ eingeblendet. Beim Umblättern auf die nächste Textseite werden alle anderen blau hinterlegten Worte, die der Nutzer nicht als LingQs definiert hat, als bekannt eingestuft und gehen damit nicht in das Vokabeltraining über.
Sind alle Worte eines Textes entweder als LingQs definiert oder als bekannt markiert, ist die Lektion abgeschlossen und eine Statistik gibt Auskunft über die insgesamt definierten LingQs, die insgesamt bekannten Worte und die Wochenstatistik des Nutzers. Sofern die Lektion als interessant und empfehlenswert empfunden wurde, steht es dem Lernenden frei, diese mittels eines Klicks auf den Rosen-Button mit einem „Like“ zu versehen. Damit empfiehlt er die Lektion als guten Content anderen Nutzern.
Die Texte sind in der Regel mit Tonspuren versehen, die den Text in seiner Gesamtheit wiedergeben. Die Tonspuren entstammen entweder einer Vorlesefunktion oder von realen muttersprachlichen Nutzern, die den Test zuvor eingesprochen haben. Diese Tonspuren kann der Nutzer in seiner Playlist sammeln, um sie über die App unterwegs nochmals anzuhören und so die Lektionen über das Trainieren des Hörverstehens zu wiederholen.
Alle gelb markierten Worte sind als Review-LingQs in fünf Wiederholungsstatus untergliedert:
Der Lernende sortiert die Begriffe und Phrasen selbst in eine dieser Stufen und führt sie Schritt für Schritt durch den Zyklus, bis sie Stufe 5 erreichen, oder er trainiert mit dem intelligenten Vokabeltrainer, der die Vokabel oder Phrase bei richtiger Antwort automatisch eine Stufe höher, bei falscher Antwort tiefer einsortiert. Jeder Stufenaufstieg jeder einzelnen Vokabel bringt dem Nutzer Coins für das Belohnungssystem ein. Dieses Vokabellernsystem hat sich LingQ sogar patentieren lassen.
Im Bereich „My Vocabulary“ sind alle Worte und Phrasen, die der Nutzer als LingQs definiert, mit zugehöriger Tonspur gelistet. Einzelvokabeln und Phrasen können dabei zusammen oder getrennt gelistet dargestellt werden. Filterfunktionen erlauben zudem die Filterung nach Wiederholungsstatus, Lektion oder Datum. Unter dem Reiter „Due to Review“ listet LingQ automatisch alle Vokabeln, die nach den Statusregeln zur Wiederholung anstehen.
Die Definition der Übersetzung ist beim Anlegen der LingQs sehr wichtig, da der Vokabeltrainer genau mit dieser eingegebenen Übersetzung arbeiten und Vokabelabfragen generieren wird. Hier ist Vorsticht und Sorgfalt geboten! Denn wer hier nachlässig arbeitet, wird falsche oder nur teilweise zutreffende Bedeutungen lernen. Der Import und die Eingabe von weiteren Vokabeln zum Fundus sind möglich.
Zur Vokabelabfrage stehen vier verschiedene Methoden zur Verfügung:
Das Lernen authentischer Phrasen soll den Nutzer befähigen, Texte auf muttersprachlichem Niveau zu verfassen. Seine Texte stellt der Nutzer auf dem Board im Bereich „Language Exchange & Community“ ein und bittet Muttersprachler gegen Bezahlung von Punkten um eine Korrektur. Zum Sprachtraining besteht die Möglichkeit, mit Muttersprachlern über das Community-Feature „Speak“ unter dem Reiter „Exchange“ gezielt Aussprache und das Sprechen bestimmter Phrasen zu üben und diese so zu assimilieren. Was der Nutzer spricht und wie er seine Tutoring-Zeit nutzt, bleibt ihm letztendlich jedoch selbst überlassen. Dies lässt ihm zwar ein großes Maß an Freiheit bei der Gestaltung seiner Lerneinheiten, doch erfordert es andererseits ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Eigenmotivation.
Das Board „My Conversations“ listet hierfür alle verfügbaren Tutoren und fungiert im Grunde genommen als eine Kontaktbörse. LingQ regelt lediglich die Rahmenbedingungen, das heißt Dauer und Preis der Tutoring-Einheiten. Einigen sich zwei Mitglieder der Community zum Sprechtraining, findet dieses über Skype statt. Im Gegenzug steht es jedem Nutzer selbst frei, anderen zu helfen, die seine Muttersprache erlernen möchten. Gegenseitiges Vertrauen ist hier also absolute Grundvoraussetzung. Für eine solche Tutorenleitung erhält der Nutzer Punkte; um eine Leistung in Anspruch zu nehmen, bezahlt er mit Punkten.
Die Schreibkorrektur erfolgt offen einsehbar im Kommentar auf einen als Posting eingestellten Text. Das Tool erkennt anhand der Korrektur durch den Muttersprachler, welche Arten von Fehlern der Verfasser begangen hat, und stellt deren Anteil in einem Tortendiagramm dar.
LingQ formuliert klar, dass es jeden Menschen befähigen möchte, jede gewünschte Fremdsprache zu erlernen durch kontinuierliche Beschäftigung mit individuell interessanten Medien, selbstständigem Erschließen von Wortbedeutungen und häufiger Wiederholung von Phrasen. Das Konzept bedarf einer Fülle unterschiedlichen Contents und der Beteiligung einer großen Community.
Dementsprechend beherbergt die Plattform auch keine vorgefertigten interaktiven Lernkurse, sondern vielmehr eine riesige virtuelle Mediathek, aus der der Nutzer seine Inhalte selbst wählt, und ein Community-Forum. Beide Bereiche bedienen sich einer Fülle externer Tools wie Reader, Wörterbücher oder Audioplayer, die LingQ versucht, bestmöglich zu einer stimmigen Umsetzung des Konzeptes zu verbinden und ineinander greifen zu lassen. Dies gelingt, gemessen an der Aufgabe, bereits recht gut, doch weist die Umsetzung auch einige Schwächen auf.
Wer sich für eine Sprache entscheidet, gibt vorab sein Sprachniveau in dieser Sprache in Selbsteinschätzung an. Zur Auswahl stehen „Beginner“, „Intermediate“ und „Advanced“. Wer sein Sprachniveau ermitteln möchte, kann dies mit dem „LingQ-Language-Proficiency-Test“ ohne vorherige Registrierung tun. Allerdings steht dieser Test nur für die Sprachen Englisch, Französisch, Russisch, Spanisch, Deutsch und Portugiesisch zur Verfügung.
Der Test kennt zwei Arten von Fragen: Vokabelabfrage aus fünf möglichen Übersetzungen und Einsetzübungen per Multiple Choice. Es gibt Fragen zu acht Niveaustufen: Beginner 1 und 2, Intermediate 1 und 2 sowie Advanced 1, 2, 3 und 4. Beantwortet der Nutzer zwei von fünf Fragen pro Level falsch, wird er in dieses Level eingestuft.
Die Textpasssagen für die Einsetzübungen erscheinen für jedes Level willkürlich ausgewählt und sind teilweise deutlich zu schwer beziehungsweise leicht für das jeweilige Level. Auf Grundlage derartig weniger Fragen eine fundierte Einstufung gründen zu wollen, ist selbstredend purer Humbug. Wir beantworteten alle Fragen richtig, wurden in Level Advanced 5 eingestuft und sollten nach der Beantwortung von 40 Fragen laut LingQ etwa 30.250 Worte beherrschen.
Dass in Lernsoftwares spielerische Elemente und Wettbewerbe unter den Nutzern integriert werden, um die Motivation zum täglichen Lernen zu steigern und individuelle Ziele zu erreichen, ist mittlerweile bei anderen Anbietern, wie beispielsweise Rosetta Stone oder Mondly, gang und gäbe. LingQ meint es aber wohl etwas zu gut mit der Einbindung solcher Gamification-Elemente.
Durch das Erlernen von neuen Worten erwirbt der Nutzer virtuelle Münzen. Die Anzahl der Münzen variiert mit der Schwierigkeitsstufe eines Wortes zwischen einer und vier. Wer genügend Münzen gesammelt hat, kann seinen Avatar nach und nach in ein Cowboy-, Mountie-, Ritter oder Fußballerkostüm kleiden, ihn vor einem ansprechenden Hintergrund platzieren und mit virtuellen Gegenständen ausrüsten. Der Avatar ist mit dem Level Beginner 1 erst klein und gewinnt mit dem Niveauaufstieg an Größe.
Nicht zu verwechseln mit Münzen sind Punkte. Punkte erwirbt der Nutzer käuflich oder durch Tutoren- und Korrekturdienstleistungen für andere Mitglieder. Er benötigt diese Punkte, um selbst Tutoring-Stunden bei Muttersprachlern seiner Zielsprache zu buchen und seine schriftlichen Essays korrigieren zu lassen.
Doch damit nicht genug: Neben Münzen und Punkten sammelt der LingQ-Nutzer virtuelle Äpfel, Lorbeerkränze, Kronen, Stifte, Telefone und Headsets. Äpfel verschiedener Größen und Färbung, von wurmig bis golden, erhält er für Aktivität auf der Plattform. Die Aktivitätspunkte werden mit allen anderen LingQ-Nutzern verglichen. Der im Gesamtranking Führende einer Sprache erhält einen Lorbeerkranz, der Führende unter allen Sprachen insgesamt darf sich mit einer güldenen Krone schmücken.
Stifte stehen für Erreichtes im Segment Schreiben. Je nach Anzahl eingereichter geschriebener Worte erhält der Nutzer verschiedene virtuelle Stifte – vom Bleistift für 100 Worte bis hin zum goldenen Füllfederhalter für 50.000 Worte.
Telefone und Headsets sind das Belohnungssystem für abgeschlossene Konversationsabschnitte. Jeder Konversationsabschnitt besteht aus 15 Minuten Konversationsdauer. Wer einen Konversationsabschnitt absolviert hat, erhält ein virtuelles Dosentelefon. Wer 250 Segmente erreicht, hat ein goldenes Headset.
Für Challenges unter den Mitgliedern wurde sogar ein eigener Bereich auf der Homepage, die LingQ-Challenges, eingerichtet. Hier findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Wettbewerbe für Lernende einer Zielsprache, die meist daraus bestehen, bestimmte Werte oder Mengen von Münzen an mehreren Tagen hintereinander zu erreichen.
Natürlich sollen diese Elemente und der Wettstreit innerhalb der Community den Nutzer animieren und motivieren, sich möglichst häufig auf der Plattform einzuloggen und möglichst viele Lektionen zu absolvieren. Sinnvoll erscheint uns auch das Bewertungssystem mit Rosen für Content und Tutoren, da so ein Mindestmaß an Qualität bei der sonst kaum überschaubaren Fülle an täglichen Posts gewahrt bleibt.
Unser Fazit zu diesem Belohnungssystem und dem Niveau an Gamification, mit dem wir uns hier konfrontiert sehen: Way too much! Für Kinder mögen kulleräugige Avatare und die virtuellen Auszeichnungen ja durchaus motivierend sein, ab einem gewissen Alter empfindet man dies jedoch vielmehr als albern. Seriös wirkt die mit virtuellen Sammelgegenständen überfrachtete Seite nicht mehr. Hier schießt LingQ deutlich über das Ziel hinaus. Die Ranglisten, Rosen- und Punktebewertungen sowie Challenges hingegen sind sinnvoll und erzeugen ein Community-Gefühl.
Da sich die Kurse nicht an den offiziellen Richtlinien des GER orientieren, obliegt die Einstufung und Sicherstellung der Qualität der Kurse allen voran der Obhut des Mitgliedes, das Text- und Audio-Dateien hochlädt und die Einstufung vornimmt. Die Texte sind nicht bebildert. Bisweilen erscheint die Einstufung und Kategorisierung von Texten eher willkürlich, doch wer sich einmal einen Fundus an für ihn interessanten Artikeln angelegt hat, lernt schnell, nach welchen Texten aus welchen Quellen er suchen sollte. Es finden sich durchaus auch Artikel renommierter Zeitschriften und Verlage darunter, wie etwa Spiegel oder New York Times.
Die Audiodateien sind je nach Text und Sprecher von stark variierender Qualität, mal deutlich und hochwertig, mal schnarrend, unnatürlich, dumpf oder dröhnend. In der Regel ist das Sprechtempo der Schwierigkeitsstufe des Textes angemessen. Bei Bedarf kann die Wiedergabe in halbierter Geschwindigkeit erfolgen. Der Player verfügt zudem über eine Rückspul- sowie eine Downloadfunktion.
So unterschiedlich die Interessenslagen und Medienauswahl, so gleichförmig und repetitiv deren Bearbeitung. Mit Abwechslungsreichtum bei der Bearbeitung der Texte glänzt LingQ definitiv nicht. Der täglich zu absolvierende Vorgang des Lesens eines Lektionstextes bei paralleler Wörterbuchrecherche nach passenden Übersetzungen wird lediglich durch das Vokabeltraining durchbrochen. Dieses Tool beherrscht immerhin vier verschiedene Formen der Abfrage und stuft Vokabeln automatisch in fünf verschiedene Lernstatus ein, ist jedoch nicht bebildert.
Da es für den Lernfortschritt im alltäglichen Ablauf des Lektionen-Bearbeitens und der Wörterbuchrecherche nicht unbedingt notwendig ist, andere Elemente in den Lernprozess einzubinden, liegt es völlig in der Eigenverantwortung und -initiative des Nutzers, zusätzlich seine Schreib- und Konversationsfähigkeiten mit Tutoren in der Community auszubilden. Gefordert zum weiteren Stufenaufstieg sind derartige Übungen nicht – im Gegenteil: Sie kosten sogar Punkte. Wer sich einfach durch Lektionen und Vokabelabfragen hindurchklickt, markiert damit alle Wörter als bekannt und verdient Münzen, ohne auch nur einen Satz wirklich gelesen zu haben. Eine hohe Eigenmotivation des Nutzers ist also absolute Grundvoraussetzung, um mit LingQ erfolgreich lernen zu können.
Toneingabe ist nicht vorgesehen, der Nutzer benötigt also kein Mikrofon. Dessen Verwendung ist nur für Live-Tutorings via Skype empfehlenswert. Texteingabe ist lediglich bei einer von vier verschiedenen Vokabelübungen nötig. Ein Korrekturfeature existiert im Grunde genommen nicht, LingQ nimmt es extrem streng: Entspricht die Eingabe nicht zu 100 Prozent der selbst vorab definierten Übersetzung, kommt es zu einer Wertung als Fehler und das Wort verbleibt im aktuellen Wiederholungsstatus. Die Gefahr, sich hier selbst falsche Übersetzungen zu definieren und diese dann zu erlernen ist durchaus real!
Abgesehen davon verläuft das Lernen mit LingQ ohne konkrete Aufgaben, die Korrekturen bedürften. Die Korrektur längerer Texte bleibt Muttersprachlern über die Community überlassen.
Wer sich zum ersten Mal bei LingQ einloggt, wird einige Zeit brauchen, um sich angesichts der verwirrenden Fülle von verschiedenen Reitern, Filterfunktionen, bunten Symbolen und ständig neu erscheinenden Lektionen zurechtzufinden. Nimmt der Nutzer sich jedoch Zeit, die Einführungsvideos und FAQ am Seitenende zu studieren, sollten sich die grundlegenden Funktionen nach einiger Zeit erschließen.
Die Filterfunktionen zur Lektions- und Vokabelsuche sind selbsterklärend. Auch die Bedienung des Readers ist aufgrund der großen Darstellung und grün markierten Schaltflächen einfach zu bewerkstelligen. Ein Fortschrittsbalken zeigt dem Nutzer an, wie viele Seiten der Lektion er bereits absolviert hat und wie viele noch vor ihm liegen. Tonwiedergabepanel und Downloadschaltfläche für die zugehörige MP3-Datei sind ebenfalls permanent über dem Text eingeblendet.
Die Seite wurde nicht vollständig in alle angebotenen Ausgangssprachen übersetzt. Dies stellt vor allem für Anfänger ein großes Manko dar, da gerade die Tools und Bedienelemente ausschließlich in englischer Sprache angezeigt sind.
Die Lektion lässt sich jederzeit beenden und an gleicher Stelle später fortsetzen. Es besteht jedoch allgegenwärtig die Gefahr und Versuchung, sich bei langweiligen oder zu langen Texten selbst zu betrügen und einfach bis zur letzten Seite vorwärts zu scrollen und dafür das Maximum an gelernten Worten und Münzen einzuheimsen, ohne wirklich etwas gelernt zu haben. Gleiches ist auch im Vokabeltrainer möglich.
Die Suche nach einer passenden Übersetzung im richtigen Wörterbuch in der richtigen Sprache kann bisweilen müßig und enervierend sein. Zwar lernt der Nutzer die Vokabel bereits dadurch, dass er sich auf diese Weise mit ihr auseinandersetzt, doch wäre ein Grundstock vorgegebener Übersetzungen eine große Hilfe.
Denn gerade Anfänger müssen zunächst Unmengen neuen Vokabulars mithilfe der Wörterbücher übersetzen. Vorteil ist, dass auch gesamte Phrasen oder Sätze aus Lektionen auf diese Weise in den Wortschatztrainer überführt werden können und das Lernen von Worten im kontextualen Zusammenhang möglich ist.
Der Hauptfokus von LingQ liegt klar auf dem Lektions- und Vokabelteil. Das Community-Feature scheint weitaus weniger genutzt. Es handelt sich bei den Tutoren in der Regel natürlich nicht um pädagogisch ausgebildete und bezahlte Lehrkräfte, sondern ebenfalls um Sprachenlernende. Das Angebot an möglichen Tutoren ist nicht überwältigend, einen geeigneten Tutor für einen passenden Zeitraum für ein fünfzehnminütiges Skype-Telefonat zu finden, kann zunächst zu einer echten Herausforderung werden. Es empfiehlt sich hierbei also, selbst ein Inserat aufzugeben und sich als Tutor für die eigene Muttersprache anzubieten. Hat man einen oder zwei gute Tandempartner gefunden, ist es natürlich möglich, diese Partnerschaft abseits von LingQ über Skype weiterzuführen.
Längerfristige Mitglieder höherer Niveaustufen erhalten die Berechtigung, selbst Inhalte, also E-Books, Artikel, Nachrichtenseiten, Tonspuren oder Podcasts auf die Plattform zu importieren und diese Inhalte mit anderen Nutzern zu teilen. Prinzipiell eignen sich beliebige Inhalte des Internets für einen Import. Hierfür steht ein eigenes Tool bereit, der „LingQ-Importer“. Mit dem Reader ist es dann möglich, das unbekannte Vokabular des Textes nach dem Standardschema Schritt für Schritt zu erlernen und so gezielt den Wortschatz für persönliche Lieblingsthemen zu erweitern. Die Bedienung ist selbsterklärend. Die Tonspur muss der Nutzer vorab jedoch selbst anfertigen oder durch einen Muttersprachler der Community anfertigen lassen. Entsprechende Anfragen kann er im Community-Forum formulieren.
Darüber hinaus ist es möglich, Vokabellisten via CSV-Datei nach einem vorgegebenen Schema zu importieren, um auf diese Weise anderweitig aufgeschnappte Vokabeln in den Vokabelspeicher und Vokabeltrainer einzupflegen. Das Tool funktioniert tadellos, nur bedeutet das Erstellen einer Liste zunächst Arbeit.
LingQ ist nicht nur als Webplattform zugänglich, sondern auch als App für Smartphones und Tablets als Adroid- und iOS-Version erhältlich. Die App ist kostenfrei, der Login mit den Nutzerdaten des Web-Accounts möglich. Die App umfasst das Lektionstool mit Reader, Vokabelspeicher und -trainer sowie einen Player für heruntergeladene Tonspuren aus den Lektionen oder Podcasts. Das Community-Feature ist nicht über die App nutzbar.
Das Design der App kommt im gleichen knallbunten und etwas überladen wirkenden Design wie auch die Web-Variante daher. Der Reader ist ebenfalls identisch, nur erfolgt die Wörterbuchauswahl über eine Einblendung von unten. Die Bedienbarkeit der App ist ebenfalls mit jener der Web-Variante weitestgehend identisch. Sehr praktisch ist der integrierte Player, mit dem der Nutzer die Tonspuren und Podcasts als MP3 auch bei geschlossener App wiedergegeben und vor- und zurückspulen kann.
Die Anmeldung und erstmalige Registrierung bei LingQ ist zunächst völlig kostenfrei und durch keine Nutzungsfrist limitiert. Ein nicht-zahlendes Mitglied kann bereits einige Funktionen im stark eingeschränkten Umfang nutzen:
Wer LingQ ohne Einschränkungen und vollumfänglich nutzen möchte, hat die Wahl zwischen zwei Abonnementmodellen.
Interessenten haben die Wahl zwischen den Abonnementmodellen „Premium“, „Plus“ und „Gold“. Alle drei Modelle bieten den exakt identischen Funktionsumfang:
Da das Unternehmen vorrangig Kunden in den USA aufweist, sind die Abonnementpreise in US-Dollar zu begleichen:
Buchungsdauer | Premium | Plus | Gold | Abrechnungszeitraum |
---|---|---|---|---|
1 Monat | 10 US-Dollar | 39 US-Dollar | 79 US-Dollar | Monatlich |
6 Monate | 60 US-Dollar | 234 US-Dollar | 474 US-Dollar | Halbjährlich |
12 Monate | 120 US-Dollar | 468 US-Dollar | 948 US-Dollar | Jährlich |
Die Abonnementmodelle unterscheiden sich nur hinsichtlich der enthaltenen Punkte, einer Art Spielwährung, mit der Tutorial- und Korrekturdienstleistungen bezahlt werden können. „Premium“ enthält keine Punkte, „Plus“ enthält monatlich 3.000 Punkte, „Gold“ 10.000 Punkte. Diese Punkte kann der Nutzer jedoch auch einzeln nachträglich erwerben. Im Vergleich zum Einzelkauf der Punkte zusätzlich zum Premium-Abonnement spart das Plus-Abonnement-Mitglied einen US-Dollar pro Monat. Preislich liegt LingQ-Premium damit auf einer Ebene mit busuu oder Babbel, wer jedoch für die Community-Features Punkte nutzen möchte, zahlt schnell mehr.
Punkte sind nötig, um dafür Betreuungsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Dies umfasst beispielsweise die Korrektur von schriftlichen Aufgaben, Konversationen mit Tutoren oder den Kauf von sogenannten Premium-Lektionen. Es gibt zwei Wege, um Punkte zu verdienen: Entweder der Nutzer hilft anderen, die seine Muttersprache lernen, bei Korrekturen und mit Gesprächen oder er erwirbt sie käuflich. Den 50-prozentigen Mitgliederrabatt eingerechnet betragen die Kosten pro 100 Punkte einen US-Dollar. Allerdings sind die Punkte nur in folgenden Paketen erhältlich:
Kosten für Dienstleistungen sind dabei beispielsweise:
Diese Preise sind durchaus moderat, doch ist zu bedenken, dass sie zum monatlichen Abonnementpreis hinzukommen. Die Punkte verfallen aber auch, sollten sie nach 90 Tagen nicht aufgebraucht werden. Dies ist für uns nicht nachvollziehbar und grenzt an Betrug.
Akzeptierte Zahlungsweisen sind PayPal und Kreditkarte. Das Abonnement verfügt über keine Mindestlaufzeit und ist monatlich kündbar. Die Abbuchung erfolgt im Monatsrhythmus. Sollte vor Ablauf der Buchungsperiode keine schriftliche Kündigung eingehen, verlängert sich das Abonnement stillschweigend um einen weiteren Monat. Eine Geld-zurück-Garantie für den ersten Abonnementmonat bei Nichtgefallen ist nicht vorgesehen. Die Abonnements mit längerer Laufzeit können jederzeit zu einem Modell mit kürzerer Laufzeit gewandelt oder gekündigt werden. Die Änderung oder Kündigung greift aber erst nach Ablauf des Abrechnungszeitraums. Das heißt bei einem Zwölf-Monats-Abo ist der Monatsbeitrag bis zum Ablauf der vollen zwölf Monate zu entrichten. Die Konditionen und Bedingungen werden erfreulicherweise sehr transparent kommuniziert, selbst bezüglich des Verfalls der Punkte nach 90 Tagen.
Support findet der Nutzer im „Support & Feedback“-Forum, welches am Ende der meisten Seiten verlinkt ist, oder unter der Support-E-Mail-Adresse. Sehr schön ist, dass jede einzelne Seite mit relevanten FAQ, einer Hilfefunktion und einige Seiten auch mit Anleitungsvideos ausgestattet sind. Darüber hinaus gibt es ein „Help Center“, in dem alle Unterstützungs- und Kontaktmöglichkeiten nebst allgemeinen Informationen gesammelt sind. Eine deutschsprachige Hotline existiert wegen der fehlenden deutschen Niederlassung des kanadischen Unternehmens nicht. Die AGB sind leider ausschließlich in englischer Sprache verfügbar.
Der Ansatz von LingQ, das Lernen weniger als interaktiven Online-Sprachkurs, sondern vielmehr als Community-Plattform mit riesiger Media-Bibliothek einzurichten, ist einzigartig. Für die Lerninhalte für jede der zahlreichen Zielsprachen sorgen die Nutzer selbst, indem sie beliebige Texte und Audiodateien aus dem Internet einpflegen, die sie selbst thematisch interessieren. Gleichzeitig stehen diese Inhalte für alle anderen Nutzer der Community zum Selbststudium zur Verfügung.
Um dieses Konzept umzusetzen, bedient sich LingQ verschiedener externer Tools wie Readern, Wörterbüchern, Mediaplayern und eines Forums und versucht, diese gleichsam einem Schweizer Taschenmesser zu einer Allzweck-Lernwaffe zu verbinden. Dies gelingt jedoch nur äußerst bedingt. Die Orientierung auf der Seite und das zu Grunde liegende Konzept sind zunächst nur schwer zu verstehen, der Funktionsumfang erschließt sich nur langsam. Der völlig übertriebene Aspekt der Gamification jedes nur erdenklichen Elements der Plattform erschwert dies nochmals beträchtlich.
Zur Nutzung der Features muss der Nutzer, und vor allem Anfänger, vieles selbst händisch vornehmen. Dies umfasst etwa die Definition neuer Vokabeln zu LingQs, das Recherchieren von geeigneten Übersetzungen für unbekannte Vokabeln oder das Hochstufen der Vokabeln im Vokabeltrainer. Gerade das Erschließen von Sprachen mit nicht-lateinischem Schriftsystem wie Russisch, Chinesisch, Japanisch oder Griechisch verlangt dem Anfänger so ungemeine Ausdauer ab, da keine Einführung in die Phonetik der fremden Schriftsysteme geboten ist.
Eine Empfehlung ist LingQ für all jene, die gerne auf sich alleine gestellt anhand von Texten selbst Sprachen erschließen und erkunden möchten, ohne von Lehrern oder Lehrbüchern abhängig zu sein, und über eine hohe Eigenmotivation verfügen. Die Materialien reichen vom absoluten Anfängerniveau bis hin zu anspruchsvoller Lektüre und sind unerschöpflich. Kinderbücher und der Gamification-Aspekt mit Avatar sprechen auch Kinder an, mit LingQ spielerisch ihre Lesefähigkeit in einer Fremdsprache zu verbessern. Wer alle vier Sprachfertigkeiten gleichmäßig von Beginn an ausbilden möchte und die Anleitung durch einen Lehrer zu schätzen weiß, ist mit anderen Angeboten, wie beispielsweise Lingoda oder Rosetta Stone, besser beraten.